Kurzgeschichten von Euch, für Euch

 

Der Letzte

Nichts - aber auch gar nichts ist wie's einmal war, wahrscheinlich wird's auch nie wieder wie früher werden. Ganze fünf Jahre ist es nun her, wobei die Zeit für mich unwichtig geworden ist, darum könnt’s auch vor zehn Jahren gewesen sein. Jedwedige Erinnerungen fallen mir schwer, denn diese barbarische Hitze hat bestimmt mein Gehirn gebraten, alles von früher liegt in einem dunklen Schatten, der für mich unerreichbar geworden ist. Eines jedoch ist lustig, ich hab sogar meinen eigenen Namen vergessen, doch in der heutigen Welt braucht keiner einen Namen. Für was auch, niemand wäre da, dem du ihn nennen könntest!
Damals vor der Katastrophe war ich, das glaub ich jedenfalls, wenn mich meine Erinnerungen nicht täuschen, ein wichtiger Mann, Menschen taten das was ich ihnen sagte. Mein Gefühl sagt mir, das ich sie manchmal nicht gerecht behandelt habe und sie gingen mir oft auf die Nerven -- wie ich das heute bereue. Ach -- wäre nur einer von ihnen heute noch am Leben, damit ich mit ihm sprechen könnte, so einen Überlebenden würde ich bestimmt als Gott behandeln.
Was für eine Arbeit habe ich getan, war ich Direktor einer Firma, oder Filialleiter eines Ladens? Verflixt noch Mal, mein Gedächtnis ist löchrig wie ein Sieb, ich kann mich kaum an gestern erinnern. Wie gerne würde ich mich an die goldenen Tage erinnern...wie gerne!
Was hat das alles noch für einen Zweck, Tag ein Tag aus gehe ich vermummt wie ein Aussätziger durch leere Strassen, an heruntergekommenen Häusern vorbei.
Auf allen Strassen brodelt der Teer, die Hitze macht ihn zu einem dicken, flüssigen Brei, meine Schuhe sind ganz und gar umrandet mit dem klebrigen Zeug. Ich würde den letzten Rest, den ich besitze hergeben, wenn's Schnee wäre.
Kein Gras, kein Baum -- nichts will nach der Katastrophe wachsen, auch die Tiere sind verschwunden. Warum muss ausgerechnet ich noch am Leben sein?
Warum? Bin ich derart zäh, das mich der Tod nicht will?

Selbst durch die Tücher, in die ich mich gehüllt habe, brennt die Sonne unbarmherzig ihre Zeichen in mein Fleisch. Heute Morgen hat sich wieder ein ziemlich großes Stück meiner Haut verabschiedet, hm, es blätterte einfach ab -- bald wird mein ganzer Körper eine einzige Wunde Stelle sein. Wären da nur nicht diese eitrigen Schwellungen, die stinken grausam und beim lösen meiner Vermummung schmerzen sie erbärmlich. Doch grausem ist das ganze Leben und Schmerzen -- tja, ich weiß gar nicht wo an meinem Körper ich keine Schmerzen habe!
Letzthin habe ich mich im Spiegel betrachtet, lange saß ich davor, Haare musste ich keine kämmen, früher hasste ich es mich morgens kämmen zu müssen, heute wäre ich froh, ich hätte auch nur ein einziges Haar. Überhaupt, im Spiegel erkannte ich kein mir vertrautes Gesicht, ich dachte ich sähe in eine tiefe, volle Jauchengrube! Seit langem war es das erste mal, das ich weinte, ich muss wohl stundenlang geweint haben, aber Tränen flossen keine, die verdampften noch bevor sie aus den Augen traten.
Wieso mussten sie damals diese Chemikalien in die Luft lassen? Wieso nur?
Jetzt weiß ich's wieder, sie sagten die Ozonschicht habe sich aufgelöst und sie wollten es mit Chemie wieder füllen, ging wohl voll in die Hosen!
Durch die Chemikalien hat sich die Sonneneinwirkung so verstärkt, das sie auch durch die Wände der Häuser jegliches Leben verbrannte. Und als in den zahlreichen Bunkern die Lebensmittelvorräte verbraucht waren, kamen die Menschen in Scharen heraus. Sie haben sich gegenseitig abgeschlachtet für ein verkohltes Stück Brot!
Verurteilen darf ich sie nicht, ich machte genauso mit, wie die anderen auch. Verdammt, ein zwei Menschen werd ich wohl getötet haben...
Könnt ich doch nur noch einmal mit einem lebendigen Menschen sprechen, es muss ja nicht viel sein, ein "Hallo" und ein "Aufwidersehen" genügen.
Hä -- Aufwidersehen? Ein blödes Wort, alles was ich sehe, sehe ich zum letzten Mal!

Auf der Suche nach anderen bin ich schon durch etliche Staaten gegangen, zumindest kommt es mir so vor. Das ist schon paradox, zuerst töte ich die, die Essen haben und nun will ich einen finden, mit dem ich sterben kann.
Mit einem Auto könnte ich schneller suchen, leider kann ich keines benützen, als fast alles zu Ende war, wurden sie verboten, jegliches Benzin von den Staaten versteckt. Keiner hat erfahren wohin sie's brachten, nun will's keiner mehr wissen. Fahrrad fahren wäre auch nicht schlecht, aber sitzen oder liegen schmerzt irrsinnig, überall die offenen Wunden...
Bleiben bloß meine halbverfaulten Füße, die ich nur mit großer Mühe bewegen kann, doch ich habe mir geschworen, bevor ich sterbe will ich noch einen Menschen sehen.
Mein Hunger und mein Durst treiben mich noch in den Wahnsinn, Lebensmittel gibt's keine mehr und jeder Tropfen Wasser ist kochend heiß. Bestimmt sind sechs Tage vergangen, seit ich was zu Essen gehabt habe, ich bin so dünn, dass ich meine Knochen durch die Haut schimmern seh.
Was ist denn das, da, da im Schaufenster, ei...ein Mensch, ich muss ihn erreichen, ich will ihn erreichen, meine Füße werden immer schwerer. Ich werd verrückt, es ist eine Frau, sie sieht noch schlechter aus als ich, aber das macht nichts.
Wieso hat sie keine Vermummung? Und ihre Augen, sie sind so leer, ihr ganzer Körper ist hart, meine Güte sie schmilzt ja, ich hätte es wissen müssen!
Es ist nur eine Puppe! Eine einfache Schaufenster-Puppe, kein lebendiges Wesen.
Die Puppe und ich, wir sind die Letzten, es kann nicht anders sein. Meine Kraft geht zu Ende, ich kann mich nicht mehr halten, trotz meiner Schmerzen leg ich mich hin, ihr zu Füssen.
Hallo Puppe, Hallo, wie geht es dir, jetzt kannst du suchen gehen, ich kann nicht mehr... Aufwidersehen du kleine Schaufensterpuppe..."

Ende

SDP