Eure Geschichten

 

 

 

Schattenland

1.Kapitel:
Der Ruf der Dunkelheit

Es war ein düsterer Ort an dem sich Largos, Herr über Bewohner und Ländereien des Drachenlandes, aufhielt. Er spürte die eisige Kälte, die von den Kammern auf dem Weg in die Kellergewölbe ausging. Die Kühle des steinernen Walles war ihm von seinem letzten Besuch in der östlichsten Handelsstadt, der mittlerweile Jahrzehnte zurück liegen musste, in Erinnerung geblieben. Fast kam es dem alten Mann so vor, als hätte sich nichts verändert, wäre da nicht diese trügerische Stille, in der wie ausgestorben daliegenden Stadt, gewesen.
Der Sommer befand sich im Stadium der untergehenden Sonnen und das neue Erntejahr würde bald beginnen, aber draußen war es trotz alledem noch sommerlich warm. Und dennoch fror der alte Krieger, der wie gewöhnlich den schwarzen Umhang trug, in dessen Mitte ein blutroter Drache eingelassen war. Routiniert prüfte er den Sitz seines schweren Zweihänders, als ihm bewusst wurde, dass er sich in diesem Moment kein Zeichen der Schwäche erlauben durfte.
Er fühlte sich in diesen kalten, steinernen Hallen unbehaglich, mit schnellen Schritten und wachsamem Blick durchquerte er diese erwürdigen Hallen. Die vereinzelt entzündeten Fackeln warfen schwankende Schattenspiele an die Wände und spendeten nur wenig Licht.
Largos fürchtete die Schwärze der Dunkelheit, die ihn umgab. Wohl wissend um das, was von den Gemäuern ausgehend, um ihn herum heraufzog. Das Böse war durchaus in der Lage, ihn in jedem Moment zu erdrücken, denn hier lag das Herz des Bösen.
Die Katakomben unter der Stadt und dem alten Wall waren ein steiniges Labyrinth, das ihn aufgrund der Stille stark an eine Grabstätte erinnerte. Dem alten Mann war der Aufenthalt an diesem Ort unheimlich und er hatte allen Grund dazu, ihn zu fürchten. Die Knochen schmerzten. Seine Muskeln wie auch sein Geist waren müde von der langen Reise und verlangten nach Ruhe.
Und dennoch war da mehr als die altersbedingte Schwächung seines Körpers. Wieder ließ er seine Blicke durch die Finsternis gleiten. Ihm graute vor dem Aufeinandertreffen mit dem, was im Dunkel dieser Gemäuer hauste. Die Schatten die seinen Verstand umspielten, hatten ihn hierher geleitet. Weiter, immer weiter. Und er war von ihrem Ruf hierher geführt worden.
Largos zögerte, er versuchte die Treppe hinunter zu blicken, zu der ihn die zwei kleinwüchsigen, in Roben gehüllten Gestalten geführt hatten. Der alte Krieger kniff die Augen zusammen. Sein Kopf schmerzte. Er konnte nicht einmal mehr ausmachen, ob die Wachen menschlicher Herkunft waren. Seine Gedanken begannen sich zu drehen.
„Nein.“
Mahnte er sich zur Ruhe und schüttelte kaum merklich den Kopf. Die Schatten begannen wieder einmal seinen Geist zu verwirren.
Er sah, wie um sich noch einmal zu vergewissern, auf die beiden Gestalten herab, die bislang auf keine seiner Fragen reagiert hatten. Stattdessen hatten sie ihn stumm in ihre Mitte genommen und ihn, wenn nötig, in die Richtung gedrängt, in die er laufen sollte. Bis zu eben dieser Treppe.
Das dämmrige Licht der Fackeln über ihren Köpfen vermochte gerade einmal die ersten drei Stufen der Treppe schwach zu beleuchten. Der restliche Teil lag im Dunkel. Largos Furcht schien nicht unbegründet.
Auch die Robenträger zögerten am Rande der ersten Stufe. Die Gestalt zu Largos Linken hob ihren Arm und zeigte in die Dunkelheit. Die kleine knochige Hand war mit gräulicher, lederartiger Haut überzogen. Largos fiel es nicht auf, da er noch immer ungläubig auf das dunkle Loch zu seinen Füßen starrte.
Der Goblin gab ein grunzendes Geräusch von sich. Die Schemen der kleinen Hauer in den Mundwinkeln vibrierten. Obgleich es kein menschlicher Laut gewesen war, verstand Largos die vermeintlich letzte Aufforderung hinunter zu gehen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass auch die Robenträger Angst vor der Dunkelheit hatten.
Langsam und bedächtig stieg der greise Krieger zögerlich die ersten steinernen Stufen herab und drehte sich um. Die Goblins hoben mahnend die kurzen Speere. Largos beschleunigte seine Schritte und erreichte schließlich den Fuß der Treppe. Die, soweit seine Augen sich in der Dunkelheit zu Recht fanden, in einen weiteren langen Flur mündete, an deren Ende sich eine große, schwere Tür befand.
Largos versuchte sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, schloss kurz die Augen und öffnete sie dann wieder. Die Konturen wurden etwas schärfer. Er atmete tief ein, drehte sich behäbig noch einmal um und sah ein letztes Mal zurück. Die Gestalten am oberen Ende der Treppe waren verschwunden.
So verabschiedete sich der Herr des Drachenlandes vom Licht und tastete sich, die Hände von sich gestreckt, auf die Tür zu. Er wusste nur zu gut, was sich dahinter befand.
Kurz bevor er sie erreichte, atmete er ein letztes Mal die abgestandene Luft der Katakomben ein, hielt sie in den Lungen gefangen, wollte sie nicht mehr hergeben. Largos hatte Angst, doch er wollte keine Schwäche zeigen. In Erwartung, dem puren Grauen ins Gesicht zu sehen, ging er entschlossen den letzten Schritt bis zur Tür, öffnete sie und trat ein. Ein frostiger Windhauch ließ ihn fröstelnd zusammenschrecken.
„Herr, ich…,“ begann er.
Eine eisigen Stimme unterbrach ihn. Largos versuchte sich im Dunkel des langen Raumes zurechtzufinden und zu erahnen, woher die Stimme gekommen war.
„Sieh an, noch ein verlorener Sohn, der heimgekehrt ist.“ Hallte es durch den Raum, der ansonsten in einsamer Stille da lag.
„Herr, ich, ich…“
Begann Largos zu stottern. Wieder unterbrach ihn die Stimme.
„Ja, du bist meinem Ruf gefolgt. Was auch sonst? Später als die Anderen, also versuche dich erst gar nicht zu rechtfertigen.“
Sagte die Stimme barsch, als Largos seinen Mund öffnete.
„Ich sehe deine Gedanken, vergiss das nicht! Und natürlich entschuldigst du dich dafür. Ebenso wie deine Brüder, die vor dir heimgekehrt sind, wirst du mir weiß machen wollen, dass eure Häuser mir niemals den Rücken zukehren wollten. Es war die Schuld eurer Ahnen, die sich den Nordländern unterwarfen. Doch das ist eine Lüge!“
Largos zuckte unter den ehrlichen, wenn auch harschen Worten zusammen.
„In Wirklichkeit dachtest du, man hätte mich besiegt, gestürzt und getötet. Woher solltest du auch wissen, dass ich noch lebe, du einfacher Sterblicher? Doch mein Fluch geht Hand in Hand mit dem euren. Der Fluch ist das Blut, du weißt es.
Auch dein Weg ist vorher bestimmt. Du versuchst die Schatten zu ignorieren, ist es nicht so? Aber das ist nicht möglich! Du kannst nicht fliehen!“
Höhnisch lachend bedachte die Stimme Largos anfängliche Entschlossenheit mit Spott.
„Es ist so einfach den menschlichen Geist zu verwirren. Denke nicht zu viel! Ich benötige dich für andere Zwecke.“
Endete die Stimme in einem drohenden Tonfall.
„Ich, ich bitte Euch um Verzeihung, Herr.“
Sprach Largos unsicher.
Dann geschah etwas. Es war, als zöge sich die Finsternis zurück, als löste sie ihre Fänge von seinem Geist und Verstand. Largos wurde schwindelig. Er rieb sich die Augen, öffnete sie jedoch rasch wieder, als er drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Der Raum hatte sich verändert.
Von einer Feuerstelle nahe der Tür ging nun ein mattes Licht aus. Das ruhige, gleichmäßige Prasseln des Feuers stand in keinem Verhältnis zu seinen momentanen Gefühlen. Der Drachenländer versuchte sich im Halbdunkel neu zu orientieren. Aber noch immer konnte er Ihn nicht erkennen.
„Tritt näher, mein verlorener Sohn!“
Befahl er und Largos tat wie ihm geheißen. Er trat in die Mitte des Raumes.
„Du bist so leicht zu beeinflussen. Ich spüre die Furcht in dir, das blanke Entsetzen, die Angst. Ich weiß, dass es dich viel Überwindung gekostet hat dem Herrn der Dunkelheit entgegen zu treten. Es ist nicht leicht ein Verräter zu sein, oder?“
„Vergebt mir, Herr! Ich will von nun an Euer treuster Diener sein.“
Sprach Largos und sank demütig zu Boden. Seine Sinne waren wie benebelt. Innerlich starb er vor Angst. Er war schwach, zu schwach, das wusste er. Und er wusste, dass er ihm folgen musste. Der Fluch, die Schatten, sie fraßen ihn innerlich auf.
„Das, was du mir anbietest, ist bereits mein. Dein Leben ist nichts wert. Ich könnte es auslöschen mit einem Fingerzeig. Doch ich habe anderes mit dir vor. Du wirst mein Bester sein! Und damit du meine Großzügigkeit, dir dein bisher sinnloses Leben zu lassen, zu schätzen weißt und deine Loyalität niemals vergisst, will ich dir etwas zeigen. Ich gewähre dir einen kleinen Bissen des Todes, einen Vorgeschmack auf das, was dich erwartet, solltest du mich enttäuschen. Lectio Perfidia.“
Entgegnete der Herr der Dunkelheit. Ein Knistern erklang. Etwas braute sich zusammen.
„Was, was meint Ihr damit? Warum?“
Stammelte Largos entsetzt.
„Fühle und lerne. Dolores horribiles nunc commovebo.“
Ein roter Blitz trat aus der Dunkelheit, und noch bevor Largos ihn richtig wahrgenommen hatte, traf es ihn in die Schulter. Er sackte zusammen und schrie auf, versuchte die gesunde Hand auf den verletzten Arm zu pressen. Doch schüttelten die Schmerzen seinen Körper so sehr, dass er nicht dazu in Lage war. Tausende Nadeln schienen von allen Seiten auf ihn einzustechen, sein Herz begann zu rasen. Er wollte nicht sterben! Nicht so! Nicht hier! Zusammengekauert lag er auf dem Boden und versuchte an seinem Lebenswillen festzuhalten, dessen Fäden wie bei einen angeschnittenen Tau nacheinander nachgaben und schließlich rissen.
So bahnte sich der Tod unaufhaltsam den Weg zu den Barrieren seines Geistes; die letzte Bastion, die ihn aufhalten konnte. In Gedanken wiederholte Largos den Wunsch nach Leben und einem Ende dieser schrecklichen Schmerzen.
„Es wäre so einfach. Sie würden augenblicklich aufhören dich zu quälen. Sie würden verschwinden und du wärest frei. Gib auf!“
Sprach eine Stimme in seinem Kopf. Largos spürte wie er schwächer und schwächer wurde.
„Gib auf!“
Hallte es immer und immer wieder nach. Er wollte nicht aufgeben. Er würde leben, auch wenn der Preis des Lebens darin bestand, der Finsternis für immer die Treue zu schwören. Er würde kämpfen! Es würde anders enden, nicht hier und nicht so.
Der Schmerz verschwand so schnell wie er gekommen war. Largos öffnete die Augen. Seine Brust hob und senkte sich hektisch. Er atmete tief ein, sein Atem überschlug sich panisch. Es war ihm, als könne er den eigenen Puls hören.
Der dunkle Raum, in dem er sich befand, hatte sich erneut verändert. Er war deutlich kleiner geworden. An den kalten, steinernen Mauern hingen nun Bilder und Wandteppiche, deren Umrisse er genau erkennen konnte. Er vermochte jedoch nicht auszumachen, was auf ihnen abgebildet war. Es gab sogar eine Art Fenster, dessen Vorhänge zum Spielball der hereinströmenden Luft wurden. Largos sah still hinaus.
Es war Nacht, obwohl gerade eben noch früher Abend gewesen war. Die zwei Sonnen waren untergegangen. Wie lange hatte die grausame Prozedur wohl angedauert? In den Augenwinkeln vernahm er einen Lichtschein und drehte instinktiv den Kopf in die Richtung. Er traute seinen Augen nicht, denn etwas Abseits lag eine junge Frau, deren Aura ihm sagte, dass…
„Herr?“
Fragte er und sah sich um. Noch immer tanzten Schatten vor seinen Augen. Sein Geist hatte sich noch nicht erholt, der Körper war erschöpfter denn je. Langsam versuchte er sich zu erheben.
„Weißt du, wer sie ist?“
Fragte die Stimme aus einer im Dunkeln liegenden Nische auf der gegenüberliegenden Seite.
„Nein, Herr.“
Entgegnete Largos wahrheitsgemäß.
„Glaubst du an Prophezeiungen?“
„Ich weiß nicht.“
Antwortete der Herr der Drachenländer. Die Welt hatte eigene Gesetze. Es war möglich. Er hatte davon gehört, dass Elfen und Zentauren Prophezeiungen machten.
„Ich zeige dir eine, die sich vor gar nicht so langer Zeit, während du auf deinem Weg hierher gewesen bist, erfüllt hat. Komm und sieh selbst! Hab keine Angst, sie wird dir mehr nützen, als du jetzt glaubst. Deine Träume, Largos, die Träume deiner Ahnen könnten bald Wirklichkeit werden. Und ich bin der Schlüssel zu deiner Zukunft.“
Sagte die Stimme aus der Dunkelheit.
Erneut trat ein Blitz aus dem Dunkel und bahnte sich seinen Weg durch den nun in mattes blaues Licht gehüllten Raum. Largos Herz begann erneut zu rasen. Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Was würde mit ihm geschehen?
Die Wände des Raumes zitterten, begannen um ihn zu rotieren. Erst langsam, dann immer schneller. Und dann brach der Himmel über ihm auf, die Mauern des dunklen Labyrinths zerfielen. Largos verlor den Boden unter den Füßen. Er schwebte schnell hoch und höher, schneller und schneller, immer tiefer in die Weiten des strahlend blauen Himmels.
Als sein Flug sich schließlich verlangsamte, versuchte er die grenzenlose Freiheit und Unbeschwertheit des weiten Himmels zu fühlen. Ein durchaus angenehmes Gefühl. Largos ließ sich für einen kurzen Augenblick in diesem endlosen Blau treiben und atmete tief ein. Seine geschundenen Knochen und müdes Fleisch entspannten sich. Die anfängliche Furcht war verflogen. Was wollte ihm der Herr der Dunkelheit wohl zeigen?
Seine Augen weiteten sich, denn plötzlich fiel er. Das erst unförmige Etwas im weiten Blau des unendlich ausgedehnten Meeres nahm schnell fassbarere Formen an. Rasend kam ihm die Erde näher. Er würde auf dem Boden zerschellen. Entsetzt hielt er die Hände vor das Gesicht.
Jäh verlangsamte sich sein Flug. Er schwebte, verlor nur noch leicht an Höhe.
Largos’ Puls pochte so heftig, dass die Adern an seinen von den Händen verborgenen Schläfen bedrohlich hervortraten. Unruhig atmete er stoßweise aus. Er zitterte. Und nur langsam legte sich seine Anspannung.
Durch die gespreizten Finger hindurch sah er die goldenen Berge im Südosten der freien Welt, es war das erste Vertraute, was sich ihm offenbarte. Im Licht der Sonnen blitzten und glänzten die Gipfel, die sich weit in den Himmel bohrten. Die Heimat der Gebirgsherren.
Sein Blick richtete sich gen Westen. Dort lagen die Südlande, das Drachenland - sein Reich. Die Flammenburg am Drachenfels mit Blick auf Telsa und die Bucht von Auras, das Mare Ascanium. Weiter nördlich der Fluss Lexa, welcher Süd- vom Nordland seit den alten Tagen trennt.
Das Nordland, des alten Kriegers Miene verfinsterte sich, er sah Argonia, das Reich der Sonne, auch hier lebten Menschen, dann den See der Könige, darüber lag Zentaurien. Die Augen wanderten wieder gen Osten über die endlosen Weiten des Mischwaldes bis hin zum Bugassagebirge. Danach erblickte er die Benden von Teleon, dort begann Brylon, die Heimat der Elfen.
Wohin trug ihn der Wind? Allmählich näherte er sich nun dem Einhornwald und schwebte über ihn hinweg. Kurz darauf erreichte er die wie immer im Nebel liegende Furt von Jarmila, die das Festland mit der Insel der Weisen, von den Elfen Byton genannt, verband.
In der Ferne konnte Largos eine kleine Berggruppe ausmachen. Dorthin schien er zu schweben. Die von weitem mächtigen Berge entpuppten sich im Nahen, als eine Anordnung seichter Hügel. Seine Füße setzten hart auf dem festen Boden auf. Largos machte einige unsichere Schritte.
Es herrschte eine merkwürdige, unnatürliche Ruhe. Der alte Krieger sah sich prüfend um. Es fiel ihm nicht Ungewöhnliches auf, aber sein Instinkt sagte ihm, dass etwas dort draußen war.
Das kleine Tal, in dem seine Reise geendet hatte, war an der einen Seite von Bäumen umgeben. Die andere war von hohem Gras bewachsen und verlief über die kleinen Hügel bis hin zum Nordmeer, das die Insel der Weisen umgab.
Plötzlich vernahm er ein Zischen aus Richtung des Waldstückes hinter ihm. Stutzend blickte sich Largos um und sah einen brennenden Pfeil auf die Wiesen in seinem Rücken zufliegen.
Das Bogengeschoss traf einen aufgeschichteten, trockenen Berg Holzes, welcher sofort zu brennen begann. Dann griff das Feuer auf die trockenen Gräser über, danach ging plötzlich alles ganz schnell. Ein grunzender unmenschlicher Laut war zu vernehmen und aus den ehemals stolz aufrecht stehenden Gräsern erhoben sich monströse Gestalten.
Manche waren von recht geringer Größe, dafür massig, andere hoch gewachsen und muskulös. Manche hatten Flügel, andere lange, scharfe Krallen. Der Geruch von versengtem Fleisch und Fell stieg Largos in Nase und widerte ihn an.
Die Kreaturen fletschten die Zähne und gaben grunzende Laute von sich. Einer von ihnen trat vor und brüllte, das Beil hielt er in die Luft gestreckt - der vermeintliche Befehl zum Angriff. Wild rostige und schartige Waffen schwingend stürmte die Horde auf Largos zu. Es war die Armee der Schattenkrieger, allesamt Wesen aus der alten Zeit, über die nur noch wenige Bücher existierten: Orks, die monströsen Ogerriesen, hüfthohe Goblins und die fliegenden Gargoyls. Largos zählte Hunderte. Von der anderen Seite erklangen die Rufe eines Hornes und aus dem Wald traten in langen Reihen hoch gewachsene Gestalten. Ihre langen blonden und hellbraunen Haare wehten im Wind. Die Gesichtszüge wirkten jugendlich, fast menschlich, nur die langen spitzen Ohren verrieten, dass sie Elfen waren. Ein in einen langen braunen Umhang gehüllter Krieger trat vor. Noch einmal blies er das Horn und die Elfenkrieger spannten Pfeile in ihre reich verzierten Zitraden. Der Hornbläser hob die Hand, die Krieger die Langbögen.
„Chardâg!“
Hunderte und aber hunderte Pfeile flogen durch den von der einsetzenden Dämmerung in rötliches Licht getauchten Abendhimmel, ihre Ziele fanden sie in den zumeist unförmigen Körpern der Schattenwesen.
Largos, anfangs zu erschrocken um zu reagieren, eilte hinter einem nahen Stein in Deckung. Die zweite Sonne begann im Meer zu versinken, im gleichen Moment entbrannte die Schlacht.
Die Gargoyls stießen sich vom Boden ab und flogen auf den Waldrand zu. Orks rannten mit erhobenen Schwertern wild und schrecklich grunzend den Hang hinauf. Die Dunkelmagier, in ihre schwarzen Umhänge gehüllt, schleuderten den Elfen giftgrüne magische Pfeile entgegen. Die behäbigen Oger, die von jenseits des Hügels heran staksten, kamen in großen Schritten näher. Wieder flog eine Salve Pfeile den Feinden entgegen. Largos sah auf, das herannahende Kriegsgeheul der Dunklen hatte das Hornsignal schlichtweg überlagert. Wie aus dem Nichts sprang ein Urawok über den Stein, hinter dem sich der Herrscher des Drachenlandes versteckt hielt. Das zottige, starke Tier, das entfernt einem übergroßen Wolf glich, schnaubte verächtlich. Die Nüstern blähten sich auf. Largos sah in die tiefen, blutroten Augen. Über seinem Kopf quiekte der reitende Goblin immer wieder vergeblich weitere Befehle und zog an dem ledernen Zaumzeug. Der Urawok reagierte nicht. Largos schluckte und bewegte sich kein Stück weit.
Die Tiere hatten eine ausgezeichnete Wahrnehmung, das wusste der alte Krieger und doch war es verwunderlich, dass das Wesen sich nicht augenblicklich, mit seinen scharfen Krallen und Zähnen, auf ihn warf und ihn zerfetzte. Es wäre ihm ein leichtes Largos mit dem gigantischen Kiefer zu zermalmen.
Der Urawok starrte ihn weiterhin an, schnaubte kurz, schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Largos atmete aus.
Der Urawok wandte sich nun mitsamt des Goblins auf dem Rücken von Largos ab. Der Krieger zog so behutsam und leise wie möglich seinen schweren Zweihänder. Die Gelegenheit ein zweites Mal von dem sonst so wachsamen Tier ignoriert zu werden war zu gering.
Als er das Schwert vollends aus der Scheide gezogen hatte, trat er einen Schritt vor und hob das Langschwert über die Schulter. Er würde den Goblin treffen und hoffen, dass das herrenlose Tier ihn nicht mit Haut und Haaren verspeiste. Einen zweiten Schlag könnte er nicht so schnell und präzise ansetzten. Ein Königreich für einen Drachen. Wie in den Tagen der alten Zeit. Largos schlug zu. Doch den erwarteten Widerstand in Form des Goblins traf er nicht. Es schien als schlage er durch Luft. Von seiner eigenen Kraft niedergerissen, sank er zu Boden und das Schwert glitt aus seinen Händen. Was war das für ein Zauber? Largos wich zurück, kauerte sich mit dem Rücken an den großen Stein, hinter dem er zuvor schon Schutz gesucht und gefunden hatte, und blickte ungläubig dem Sturm der Schattenwesen nach, der an ihm vorüber gezogen war.
Warum hatte er den Goblin nicht getroffen? Warum hatte er den ekelhaften Atem des Urawok gerochen? Diese Fragen hätte sich Largos nie und nimmer gestellt, hätte er den Goblin vom Rücken des Urawoks geschlagen. Es wäre nur natürlich gewesen, wenn ihn das Tier zuvor angegriffen hätte. Aber warum hatte es das nicht getan?
Der Urawok schnaubte ein letztes Mal bevor er samt Reiter den letzten Anstieg in Angriff nahm. Largos sah ihnen hinterher und erkannte erst jetzt, dass die vorderen Reihen der Elfen Bögen gegen Schwerter getauscht hatten. Mutig kämpften sie gegen die Großmacht der Dunklen. Die Orks wurden von den scharfsinnigen Waldbewohnern im Zweikampf trotz der Dämmerung mühelos besiegt. Ihre Kraft jedoch reichte nicht aus, um Riesen oder Urawoks aufzuhalten, die tiefe Kerben in die dichten Reihen der Elfenkrieger rissen.
Immer weiter mussten sich die Waldbewohner zurückziehen, während sie versuchten, ihre Reihen zu halten.
Dann spürten sie die ersten Zweige und Baumstämme in ihren Rücken, machten kehrt und rannten in den Schutz des Waldes. Wie von Sinnen folgten ihnen die Dunklen.
Ein Aufschrei - die ersten Oger fielen in einem neuerlichen Pfeilhagel, Gargoyles wurden aus den Lüften geholt. Doch was brachte es, dachte Largos. Denn für jedes getötete Schattenwesen tauchten zehn neue auf.
Als die Kampfhandlungen sich immer tiefer in den Wald verlagerten und die Flut der neuen Dunkelkrieger letztlich abnahm, erhob sich Largos langsam. Er musste dem Tross der Dunklen folgen. Er wischte sich notdürftig über die verschmutzte Kleidung, bückte sich schwerfällig und ergriff sein Schwert. Seine Waffe erschien ihm, an diesem verfluchten Ort, wenig von Nutzen zu sein, weshalb er es in die lederne Halterung an seinem Rücken gleiten ließ.
Wankend und unsicher setzte er einen Fuß vor den anderen. Er war gezeichnet von dem Schrecken. Die Sonnen waren mittlerweile am Horizont versunken und eine beunruhigende Finsternis ergriff das dichte Gehölz. Largos beschleunigte seine Schritte.
In der Tiefe des dunklen Waldes konnte er vereinzelt winzige Lichtkegel erspähen, die in unregelmäßigen Abständen die Bergkuppen vor ihm erhellten. Laute und Schreie entfernten sich immer weiter. Er hastete die letzten Schritte bis zum Waldrand hinauf und blieb dort entsetzt und angewidert stehen.
Blutüberströmt lagen die geschlagenen Krieger der Waldelfen zu seinen Füßen. Largos schloss die Augen, der Tod war so gespenstisch ruhig, ihm wurde mulmig zumute!
Es ist nicht leicht zu ertragen, welch verheerende Auswirkungen ein Krieg haben kann. Und es ist noch schwerer sich des Preises für Sieg oder Niederlage bewusst zu werden.
Largos wollte nicht gleichgültig über die leblosen Körper hinwegsteigen, musste sich jedoch zur Eile mahnen, um den Anschluss an die Kampfhandlungen nicht zu verlieren. Der unaufhaltsame Pfad des Schreckens brannte sich immer tiefer in den Wald. Und der Drachenherr folgte ihm.
Viele gefallene Krieger ließ er dabei hinter sich. So manches Mal befürchtete Largos, er würde vom Wege abkommen, doch dann hielt er kurz inne und verschnaufte. In unregelmäßigen Abständen leuchteten rote und blaue Lichtblitze auf, diese erhellten die Nacht über den hohen, breiten Baumkronen.
Der alte Mann bahnte sich die letzten Schritte durch wildes Brombeergestrüpp zu einer Anhöhe hinauf, dahinter verlor der Wald deutlich an Dichte. Auf die Knie gestützt atmete er erschöpft aus. Dann sah er hoch und stockte ungläubig.
Ihm offenbarte sich ein weites Tal, in dessen Mitte er im Schein aberhunderter Lichtpunkte ein prunkvoll gestaltetes Gebäude aufragen sah. Lange Steintreppen, flankiert von hunderten Feuern, führten zu einer Tempelanlage herauf, deren Schönheit nur von der um sie herum tobenden Schlacht getrübt werden konnte.
Largos konnte in der Ferne die Silhouetten der Gargoyls aufsteigen sehen. Sie kreisten einige Zeit über den Köpfen der Elfenkrieger, um dann blitzschnell hinabstürzen und die Reihen der Elfen mit ihren langen scharfen Klauen zu durchdringen. Immer wieder drohten die Reihen der Elfen, die langsam Schritt für Schritt zurückwichen, zu brechen, doch noch konnten sie standhalten. Trotz der blutigen Schlacht, die im Herzen des Tals wütete, fühlte Largos eine eigenartige Ruhe und Besänftigung, die von dem Tempel auszugehen schien. Zu seiner Linken stürzten von einem weit über ihm gelegenen Abhang Wasserfälle hinab in die Tiefe des Tals. Einige kleinere Flussarme trugen, von dem See zu seinen Füßen ausgehend, das Wasser in die Landschaft heraus. Vorsichtig stieg Largos den steilen Abhang herab und eilte, so schnell ihn seine Füße trugen, den sich bekämpfenden Kriegern nach. Es dauerte eine Weile, bis er sie schließlich erreichte. Vor ihm wuchs das weißgelbliche Bauwerk, auf das die Schattengestalten unentwegt vordrangen, in die Weiten des Himmels. Aus der Nähe betracht wirkte das gleißende Lichtspiel um den Tempel, welches Largos als Quell seines Glücksgefühls ausmachte, noch imposanter. Je näher er dem Feuerschein kam, desto klarer wurden die Umrisse des Gebäudes. Bald schon war der Herr der Drachen am Rande der steinernen Treppe angelangt, die steil nach oben führte. Er erkannte eine Horde Orks, die sich offenbar einen Weg durch den Pfeilhagel gebahnt hatte, sie wurden geschützt und flankiert von anderen ihrer Sippe. Die Orks trugen etwas dunkles, dessen Silhouette er gegen das Licht nicht genau erkennen konnte, zum Tor des Tempels - der Damm war gebrochen.
Largos hastete die Stufen hinauf, nahm zumeist zwei auf einmal. Er erklomm letztlich außer Atem einen kleinen freien Platz unterhalb eines großen Portals, das reich verziert mit Symbolen der alten elfischen Schrift altehrfürchtig dalag.
Die Orks machten sich an dem Tor zu schaffen. Widerstand von Seiten der auseinander getriebenen Elfen gab es kaum noch. Vereinzelt flogen Pfeile in ihre Richtung. Die Gargoyls hatten ihre Befehle gründlich ausgeführt. Sie ließen keinen am Leben.
Was genau die Dunklen vor dem steinernen Portal machten, konnte Largos nur erahnen. Und seine Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten, als sich die Gruppe teilte und ein bläuliches Lichtblitzgewitter losbrach. In der Mitte der Orks standen drei Schwarzmagier. Mit lauten Stimmen sangen sie in der verbotenen Sprache. Ein Schauer lief Largos über den Rücken. Er hatte diese Sprache zuletzt in seinen Träumen vernommen. Ihm war nicht klar, was das Aufsagen dieser magischen Formel auslöste, aber eines war klar: Dieses Portal würde die Dunklen nicht lange aufhalten.
Es zerbarst einen Wimpernschlag später und gab die Sicht auf einen Gang frei, der ins Innere des Elfentempels führte. Largos beschloss den Dunklen zu folgen. Schnellen Schrittes durchquerten sie Raum um Raum, Halle um Halle, ohne auf die sich ihnen mit erhobenen Händen entgegenstellenden Elfen zu achten.
Largos schüttelte sein Haupt, dies war kein einfacher Überfall, sie hatten einen Auftrag zu erfüllen! Und diese gutgläubigen Elfen versuchten die Schatten mit weisen Worten aufzuhalten. Sie alle ließen ihre Leben, während der mit Blut besudelte Boden unter ihren leblosen Körpern den Hallen die friedliche Aura nahm. Largos stahl sich, das Gesicht abgewandt, an ihnen vorbei. Er durfte nicht, er konnte nicht… Doch er gab sich dem Verlangen hin und sah hinab.
Die Grausamkeit des Krieges, die auch vor den Wehrlosen nicht Halt machte, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Die langen, weißen Roben waren blutrot durchtränkt, die friedlichen Minen befleckt. Largos fühlte für einen Augenblick etwas wie Mitleid. Nichts konnte die Entweihung des Tempels mehr aufhalten.
Dann besann sich der Herr der Südlande wieder und folgte dem Tross des Bösen weiter durch das endlose Labyrinth aus Stein. Vorbei an lang gezogenen Räumen, Säulen und Statuen, geschmückt mit Stuckaturen, Gemälden und Mosaiken, die von der Vergangenheit erzählten.
Largos sah sich nicht um, er wusste auch so, dass ihnen niemand folgen würde. Die Reihen waren gebrochen, doch beschäftigte ihn momentan vielmehr eine Frage: Was gab es hier im Tempel der Nar Gesap, das es wert war, in die freie Welt einzumarschieren und die längst vergessenen Überreste der Truppen der Finsternis in eine möglicherweise entscheidende letzte Schlacht zu führen? Was war es wert, die Truppen zu opfern?
Ganz in Gedanken versunken bemerkte er erst gar nicht, dass der Tross in der bisher größten Halle zum Stehen gekommen war. Er verlangsamte seine Schritte und sah sich um. Er war in ein großes, von mattem Licht erfülltes Rund getreten. Zu seiner Linken und Rechten säumten Reihen hoher schneeweißer Säulen den Raum, reich verziert mit Symbolen und Buchstaben alter fremder Sprachen.
Largos fühlte sich in diesem Labyrinth verloren und endlos klein. Plötzlich spürte er, wie ihn eine unbekannte Kraft durchfloss.
Eine starke Aura ging von diesem Raum aus, etwas hier war alt, sehr alt. Es war, als vereinte es alles Wissen der Elfen und ließ ihn daran teilhaben. Alle Gedanken und Gefühle, die die Dynastien durchstanden hatten. All dies prasselte auf Largos ein. Er sank zu Boden, sein Kopf schmerzte erneut.
Scheinbar unbeeindruckt davon begannen die Seelenlosen im von Fackeln erhellten Raum auszuschwärmen. In dessen Mitte stand auf einer ebenfalls kreisrunden und mit Mosaiksteinen verzierten Empore ein imposanter Thron aus feinstem, spiegelndem Kristall.
Einer der Orks untersuchte ihn, gab grunzende Geräusche von sich und widmete sich anschließend den Säulen zu Largos Linken. Um den Thron stand eine Vielzahl edler Stühle angeordnet, die nun allesamt umgeworfen im Raum verteilt lagen, dies schien eine Art Versammlungsraum zu sein.
Jäh fiel es Largos wie Schuppen von den Augen. Das Treffen der Völker hatte angestanden. Seine Spione hatten ihm kurz vor seinem unfreiwilligen Aufbruch von der Versammlung der Drei erzählt.
Drei Herrscher dreier Kulturen aus drei Teilen der freien Welt Iveona wurden im Tal Nar Gesap auf Byton erwartet. Der König der Sonnenkrieger samt Gefolge würde aus dem weiten Westen, den Nordlanden, kommen, die sich dereinst hinter dem Ahnenhaus der Argonia vereinigt hatten.
Auch die Herren der Kristaller und Metaller und einige weitere Stammeshäuptlinge der Clans, die weit unterhalb der hohen Berge in Festungen und Städten aus Gold, Stein, Metall und Setin hausten, sollten bei dem Treffen zugegen sein. Das Treffen hatte die Seherin der Elfen, die auf Byton lebt, sowie der Ältestenrat einberufen. Ihren Rat erfragte man nicht nur im bewaldeten Reich Brilon, sondern auch in den restlichen Teilen der freien Welt, so dass sicherlich viele Regenten ihrem Ruf gefolgt waren.
Nur der König des vierten Reiches war nicht geladen. Er, Largos, Herrscher über die Südlande und das Drachenland im Südwesten der Welt, nahm nicht an den Treffen teil. Seine Ahnen hatten sich von der Allianz abgewandt. Seit dem Tage war sein Reich isoliert gewesen. Die Grenzen hinter dem Ufer des Flusses Lexa im Norden, den Quellen von Deukalion im Nordosten, dem weiten Meer im Westen und den Bergen im Osten und Süden bestanden noch heute.
Ein lautes, markerschütterndes Grunzen riss Largos aus seinen Gedanken. Ein Ork kam langsam, rückwärts schlurfend auf ihn zu. Largos stand auf und trat einige Schritte zurück. Der Oberkörper des Orkkriegers erzitterte mehrere Male ruckartig, dann stolperte das Schattenwesen und viel hinten über. Elfische Pfeile ragten aus seiner Brust. Unsicher spähte er in die Dunkelheit, von der aus die Pfeile auf ihren tödlichen Flug gegangen waren.
Schon nach dem ersten Erlebnis mit dem Goblin war ihm bewusst geworden, dass er hier nicht Teil der Wirklichkeit, sondern Teil der Geschichte war. Er mahnte sich zur Ruhe, brauchte keine Angst vor dem zu haben, was dort im Halbdunkel der Säulen auf ihn wartete.
Trotzdem zog er intuitiv das Schwert aus der Scheide und schlich so leise er konnte auf die Säulen zu. Schon nach einigen Schritten erreichte er eine Statue an der Wand, die einen Spalt breit verrückt schien. Er stemmte sich gegen sie und versuchte den schweren Granit von der Wand weg zu schieben, doch sie rührte sich nicht. Largos hörte schnelle Schritte, dann Grunzen und wusste, dass die Horde den mit elfischen Pfeilen durchbohrten Ork im weiten Rund des Säulenlabyrinths gefunden hatte. Nun kamen sie auf ihn zu gerannt. Konnten sie ihn sehen? Er stockte, trat schnell in das Dunkel der nächstgelegenen Säule.
Schon machten sich die Orks an der Statue zu schaffen. Sie hatten mit vereinten Kräften keine großen Schwierigkeiten, sie zu verschieben. Hinter dem grauen Steinkoloss kam ein dunkles mannshohes Loch zum Vorschein. Die Orks verschwanden, gefolgt von den Dunkelmagiern, aus Largos Sichtfeld.
Der alte Mann folgte ihnen in sichrer Entfernung. Der Gang war scheinbar auf natürliche Weise entstanden, die Wände waren rau und uneben. An manchen Stellen gab es eiserne Fackelhalter, in denen leicht verkohlte Stumpfe befestigt waren.
Es roch ganz so, als ob sie vor kurzem noch entzündet waren. Manche glühten noch schwach. Die Schatten bewegten sich schnell voran. Vorbei an mächtigen, in Stein geschlagenen Skulpturen, die aufgrund ihrer enormen Größe beängstigend wirkten. Das Hallen der orkischen Grunzlaute wurde lauter.
Plötzlich erschien weit entfernt am Ende des langen Ganges ein schwacher Lichtschein, der schnell heller wurde, je näher der Herr der Drachen ihm kam. Am Ende des Ganges angekommen, trat Largos durch einen steinernen, Efeu berankten Bogen, der ihn ins Freie entließ. Er stand vor einer vom Mondlicht erhellten, harmonisch daliegenden Gartenanlage.
Für einen kurzen Moment genoss er die Idylle, die dieser mystische Ort ausstrahlte, bis ihn Schreie und Schlachtlärm aufhorchen ließen. Vor seinen Augen sah er einen Elfenkrieger unter den Hieben zweier Orks zusammenbrechen. Brutal schlugen die Orks auf den hilflos am Boden liegenden Körper ein und entweihten den Frieden des heiligen Ortes. Blut besudelte den von Moos bewachsenen weißen Bodenmarmor.
Eine Horde Orks umzingelte eine zweite, scheinbar kleinere Gruppe schemenhafter Gestalten. Der Geräuschpegel des Grollens und Grunzens stieg an, es war das Kriegsgeschrei der dunklen Krieger. Ein Horn erklang aus dem Hintergrund, Stille trat ein. Eine der bis dahin still stehenden Gestalten in der Mitte des orkischen Rings hob einen gebogenen Gegenstand zum Mund und ein klarer lauter Ton durchbrach die Nacht.
Der abrupten Bewegung folgte erneutes aufloderndes Geschrei der Orks. Der Ring zog sich langsam enger um die Eingeschlossenen. Erhobene Waffen glänzten vereinzelt im Licht der drei Monde, das Massaker sollte beginnen.
Plötzlich drangen fremde Laute in sein Ohr. Ein blauer Blitz stob aus der Mitte der eingeschlossenen Meute in Richtung Himmel. Über den Wipfeln der Bäume hielt er kurzzeitig inne und sank dann pfeilschnell zurück auf die Eingeschlossenen zu.
Auf Mannshöhe über dem Boden verweilte der Blitz für einen Augenblick starr in der Luft, bevor er damit begann um die kleine Gruppe zu rotieren, deren Abstand zu den Orks immer geringer wurde. Schneller und schneller schien das eine Ende des Zaubers das andere zu jagen, bis es dieses schließlich erreichte und sich mit ihm zu einem leuchtenden Bannkreis zusammenschloss.
Die Orks in der ersten Reihe stockten kurz, doch sie wurden von der restlichen Meute näher auf das gleißende blaue Licht zugedrückt. Ein erster Ork erreichte den Ring. Seine eiserne Rüstung berührte die Barriere und glitt in ihren inneren Radius. Das leichte Metall der Panzerung veränderte die Farbe, wurde heller und nahm ein rötliches Orange an, bevor es sich verflüssigte und die darunter liegende schuppige Haut versengte. Der Ork schrie heulend und johlend auf. Er litt große Qualen, doch es war schnell vorbei.
Lange Feuerzungen durchrissen die Reihen. Arme, Beine, Körper verbrannten. Der Gestank versengten Fleisches erfüllte die Luft der Lichtung. Der von hinten drängende Fluss ließ nicht nach. Einer nach dem anderen starb elendig, ohne dass es auch nur den Hauch einer Möglichkeit gegeben hätte, die Barriere zu durchbrechen. Wie einfältig diese Geschöpfe doch waren, dachte Largos.
Dann hielten sie plötzlich inne, erstarrten gar. Ein Zischen, das von einer Gruppe schwarzer Gestalten ausging, die abseits der Meute stand. Largos hatte sie bislang nicht wahrgenommen.
Es war die Gruppe der Schwarzmagier. Der alte Krieger konnte nur erahne, was die fremden Laute zu bedeuten hatten. Die Magier begannen einen Zauber zu weben. Plötzlich trat rotes Licht aus ihrer Mitte hervor und ein Blitz schoss gegen die aufgespannte Barriere. Für einen Augenblick schien das leuchtende Blau gegen den übermächtigen roten Zauber anzukämpfen, gab dann jedoch auf und zerbarst in tausend Teile. Der Bann war gebrochen.
„Wir sind zu schwach, lasst sie gewähren.“
Sprach eine weiche, melodiöse Frauenstimme. Largos Knie wurden weich. Die Stimme umgab eine Aura, die ihn tief im Innersten berührte. Das Gefühl, das er im Innern des Tempels gespürt hatte, durchflutete ihn erneut. Die Stimme vereinnahmte eine Reinheit und Macht, die es für Largos unmöglich machte ihr zu widerstehen.
Für die Frau, der die Stimme gehörte, würde er alles Leid auf sich nehmen, kämpfen bis zum bitteren Ende. Und eben dies taten die anderen Gestalten in der Mitte des Kreises, Sie waren nicht bereit sich dem Schicksal zu fügen. Während ihr Schicksal besiegelt war, gab sich der Herr der Drachen dem wohligen Gefühl ganz und gar hin.
Wie edelmütig, dachte Largos. Wobei ihr Schicksal bereits bestimmt war, sie wussten es nur noch nicht.
Neben Largos trat jemand auf trockenes Gehölz. Der alte Krieger wandte den Kopf und sah, wie im Schatten neben sich ein Bogen gespannt wurde.
Die Sehne dehnte sich bis zum Anschlag und zitterte unruhig. Der Pfeil fixierte einen Punkt im Innern des Ringes um die Eingeschlossenen. Als der schuppige Krieger losließ und der mit orkischem Gift durchtränkte Pfeil sein Ziel fand, stockte Largos für einen Moment der Atem.
Im Licht des Mondes hielt ein Schwert, zum Zuschlagen erhoben, inne, stockte mitten in der Luft. Die starke, fleischige Hand, welche das Schwert noch immer verkrampft umklammerte, begann zu zittern. Die Waffe, der einzige Gegenstand, der über Leben und Tod entschied, entwand sich ihr langsam und fiel zu Boden.
Largos blendete das Mondlicht, so dass er nicht erkennen konnte, woher der Getroffene stammte.
Das Schwert bohrte sich in dem Moment in den lehmigen Boden, als der schwere, getroffene Körper ächzend auf die Knie sank und dann nach vorn stürzte.
Etwas fiel scheppernd zu Boden und rollte schlingert auf Largos zu, bevor dessen Stiefel den weiß, bläulichen Gegenstand aufhielten. Das Mondlicht spiegelte sich in ihm wider. Auf der Außenseite war etwas eingraviert. Largos las die Worte wie in Zeitlupe.
„Arkt’or Se’ptrinalkis.“
Seine Augen weiteten sich, seine Gesichtszüge spannten sich an. Dies war die Krone der Argonia, den Menschen der Nordlande, übergeben von den Gebirglern nach dem ersten Krieg der Völker, als Zeichen der Anerkennung des Reiches. Der Mann, den er zu Boden hatte gehen sehen, war ihr König.
So würden die heimlichen Träume seiner Ahnen wahr werden. So würde sein Haus einen König über das vereinigte Reich stellen.
Ein Grinsen umspielte Largos von Bart umrandeten Mund. Er lachte das höhnische, grausame Lachen der Sieger. Seine Furcht war versiegt, wie konnte er jemals an ihm gezweifelt haben. So konnte das Schicksal, sein Schicksal, seinen Lauf nehmen.